Das Thema Fachkräftemangel bleibt auch in diesem Jahr akut in der Branche. Wie groß ist das Problem für einen Konzern mit einer starken Marke wie TUI?
Die Marke TUI strahlt Stärke und Sicherheit aus. Wir haben darauf basierend unsere Arbeitgebermarke entwickelt. Und wir sind sehr stolz darauf, dass die Arbeitgebermarke TUI von den Mitarbeitenden getragen wird. Sie sind unsere Botschafterinnen und Botschafter für TUI, bringen sich mit ihren persönlichen Einblicken aus dem Arbeitsalltag bei TUI ein. Das schafft echte Authentizität. Trotzdem spüren auch wir in einigen Bereichen den Fachkräftemangel. Wobei das stark vom gesuchten Profil abhängt. Wir arbeiten kontinuierlich daran, die richtigen Talente für unser Unternehmen zu gewinnen. In diesem Jahr haben wir beispielsweise unsere Quereinsteigenden-Initiative lanciert. So öffnen wir uns stärker als bisher auch für Menschen, die keine klassische Touristikausbildung haben. Insbesondere in den Reisebüros bieten wir ihnen attraktive Einstiegsmöglichkeiten, begleitet durch entsprechende Schulungen.
Was bedeutet das perspektivisch für die Touristik und Ihren Konzern?
Für die Touristik gilt wie für andere Branchen: In Zeiten des Fachkräftemangels werden vermeintlich weiche Faktoren zur harten Währung, die Unternehmenskultur zum Beispiel. Mehr Flexibilität bei Arbeitsort und Arbeitszeit, Ergebniskultur statt Präsenzfixierung – das sind Aspekte, die unseren aktuellen und zukünftigen Mitarbeitenden wichtig sind. Diese können wir als Arbeitgeber aktiv gestalten. Bei TUI spiegelt sich das in der Aussage: ‚Arbeit ist etwas, was wir tun, nicht wo wir hingehen.‘
Blicken wir noch mal kurz zurück. Wie sehr hat die Personalsuche bei TUI durch die Pandemie gelitten?
Die Touristik gehörte zu den am härtesten von der Pandemie betroffenen Branchen. Die Bilder von leeren Stränden und Innenstädten waren allgegenwärtig. Das hat auf den Bewerbermarkt ausgestrahlt. Wir haben während der Pandemie eine gewisse Zurückhaltung wahrgenommen. Inzwischen hat sich das aber wieder normalisiert. Hinzu kommt, dass einige Fachkräfte in den vergangenen drei Jahren der Tourismusbranche den Rücken gekehrt haben. Jetzt sehen wir, dass ehemalige Mitarbeitende zurückkommen.
Wie beurteilen Sie die Qualität der heutigen Bewerber?
Die Qualität hat sich gar nicht so stark verändert. Aber das Selbstbewusstsein der Bewerbenden hat zugenommen. Sie wissen, dass wir einen Arbeitnehmermarkt haben, und sind sich ihres Wertes bewusst. Zudem kommt es häufiger zum plötzlichen Kontaktabbruch durch Bewerbende ohne jede Erklärung. Auch ist das Risiko gestiegen, neue Mitarbeitende zwischen einem Vertragsangebot und dem Stellenantritt zu verlieren. Deshalb ist es so wichtig, Bewerberprozesse einfach und schnell zu gestalten, in einem kontinuierlichen Austausch mit den Bewerbern zu bleiben.
„In Zeiten des Fachkräftemangels werden weiche Faktoren zur harten Währung, die Unternehmenskultur zum Beispiel.“
– Sybille Reiß, Personalvorständin bei TUI
Der Arbeitsmarkt hat sich verändert. Im Homeoffice zu arbeiten, ist plötzlich normal. Auch bei TUI?
Ja, die schwierige Corona-Zeit hat trotz allen Herausforderungen Dinge hervorgebracht, die uns bei der Personalsuche nun helfen: Wir können mehr Flexibilität anbieten, was Arbeitszeit und Arbeitsort angeht. Bei TUI wird internationaler denn je zusammengearbeitet. Das sind für viele Bewerbende überzeugende Argumente. Und wir gewinnen damit auch Kandidaten für uns, die vor der Pandemie kaum erreichbar waren, zum Beispiel von internationalen Software-Unternehmen.
Wie gehen Sie bei der Suche nach geeigneten Kandidaten vor?
Unser Recruiting fokussiert sich auf zwei Bereiche: Zum einen besetzen wir die ganze Bandbreite von Rollen, die für die Touristik spezifisch sind. Dazu gehören beispielsweise die Stellen in unseren Reisebüros. Der zweite Bereich sind Rollen, die wenig branchenspezifisch sind. Das sind insbesondere die IT-Stellen. Eine App-Entwicklerin aus einem E-Commerce Start-up kann mit ihrem Skillset reibungslos in unsere Tech-Teams integriert werden.
Retention ist das neue Employer-Branding. Wie halten Sie gute Leute, welche Trends sehen Sie allgemein?
Wir wissen aus Gesprächen und internen Befragungen, dass eine hohe Flexibilität, Entwicklungsmöglichkeiten und das Wohlbefinden am Arbeitsplatz entscheidende Faktoren sind, um Mitarbeitende langfristig an die TUI zu binden. Und wir haben in den vergangenen Jahren bei diesen Themen erhebliche Fortschritte gemacht: Unsere Mitarbeitenden haben heute eine enorme Flexibilität bei der Entscheidung, von wo sie arbeiten und wie sie die Arbeitszeit aufteilen wollen – vorausgesetzt, das Jobprofil lässt solche hybriden Arbeitsformen zu. Zusätzlich haben wir mit TUI Workwide ein viel genutztes Programm eingeführt, mit dem Mitarbeitende bis zu 30 Arbeitstage aus dem Ausland arbeiten können. Wir bieten umfangreiche interne Karrierewege. Zu uns kommt man vielleicht für einen Sommerjob, man bleibt aber für die Karriere. Das unterstützen wir mit zahlreichen Weiterbildungsmöglichkeiten. Und wir investieren in die Bereiche Health & Wellbeing für unsere Mitarbeitenden. Ein positives Arbeitsklima ist uns wichtig bei TUI. Dazu zählt für mich auch unser Engagement für Vielfalt und Toleranz. „Come as you are“ lautet unser Motto. Niemand soll sich am Arbeitsplatz mit Teilen seiner Persönlichkeit verstecken müssen. Wir stehen für eine offene und wertschätzende Unternehmenskultur.
Wie schätzen Sie das Verhältnis von Erwartungen der Bewerber:innen zur Realität ein? Was verwundert oder stört Sie?
Vor einigen Jahren waren Bewerbungsgespräche eher eindimensional: Bewerbende haben sich mit ihrem Lebenslauf vorgestellt und haben dann die Fragen des Unternehmens beantwortet. Heute sind solche Gespräche viel stärker ein Dialog über gegenseitige Erwartungen. Das Bewerbungsgespräch findet heute eher auf Augenhöhe statt. Verwundert bin ich, wenn ich höre, dass Bewerber uns ihren Lebenslauf senden und erwarten, dass wir sie proaktiv über Vakanzen informieren. Da erwarten wir natürlich mehr Initiative. Ich weiß aber von unseren Recruiting-Teams auch, dass das eher die Ausnahmen sind. Wir bekommen viele großartige, gut vorbereitete Bewerbungen. Die Touristik hat eine große Anziehungskraft.
„Die Touristik bietet spannende Aufgaben, um die nachhaltige Transformation des Reisens zu gestalten.“
– Sybille Reiß, Personalvorständin bei TUI
Welche Chancen haben Quereinsteiger und Bewerber von außen?
Bei TUI wollen wir zukünftig verstärkt auf Quereinsteiger setzen, um Stellen zu besetzen. Sie bringen andere Qualifikationen mit, sind genauso motiviert wie Mitarbeitende, die schon Branchen-Know-how haben. Alle unsere Stellen werden zunächst intern ausgeschrieben. Finden wir dort nicht die passende Person, wird das Stellenprofil auch extern veröffentlicht. Dazu nutzen wir Stellenbörsen, arbeiten mit Mitarbeiter-Empfehlungen oder sprechen Kandidatinnen und Kandidaten direkt an, zum Beispiel über LinkedIn. Das hängt jeweils sehr stark von der zu besetzenden Stelle ab.
Wie kann man junge Menschen, Schulabsolventinnen und -absolventen, für die Touristik begeistern?
Nach dem ersten Abschluss wollen viele Schulabsolventen heute gern etwas ausprobieren und im Ausland arbeiten. Viele unserer Stellen – insbesondere in den Destinationen – sind daher für junge Menschen attraktiv. Diese Neugierde können wir viel stärker für uns nutzen und ihnen Angebote machen. Danach muss es gelingen, diesen jungen Menschen Karrierewege zu eröffnen.
Passiert das bei TUI?
Bei TUI haben wir heute bis in den erweiterten globalen Vorstand hinein eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen in Management-Positionen, die als Reisebegleiter in einer Destination begonnen haben. Sie sind zunächst für einen Job zur TUI gekommen und geblieben für eine Karriere.
Viele junge Menschen lieben es zu reisen. Sie machen sich zudem für Klimaschutz und Nachhaltigkeit stark. Spricht das für oder gegen eine Laufbahn in der Touristik?
Klar dafür. Die Touristik bietet spannende Aufgaben, um die nachhaltige Transformation des Reisens zu gestalten. Das sollten wir als Branche deutlicher machen: Mit einem Job im Tourismus kann man viel bewegen.
ChatGPT & Co verändern die Arbeitswelt, auch bei Ihnen?
TUI setzt bereits seit einigen Jahren auf die Unterstützung durch künstliche Intelligenz (KI) und wir werden die Integration in unsere Geschäftssysteme weiter vorantreiben. Generative künstliche Intelligenz (Gen KI) eröffnet nun die Möglichkeit, das Potential der künstlichen Intelligenz für alle nutzbar zu machen. Und deshalb wird es natürlich auch die Arbeitswelt verändern. Bereits heute können unsere Mitarbeitenden Bing Copilot nutzen, sozusagen die Microsoft-Version von Chat GPT. Dokumente zusammenfassen, Recherchen vereinfachen, Excel-Tabellen analysieren – das passiert bereits heute und macht die Mitarbeitenden effizienter. Und wir unterstützen das aktiv mit verschiedenen Lernformaten. Ich nehme eine große Neugierde für dieses Thema bei den Mitarbeitenden wahr.
Zur Person Sybille Reiß wurde 1976 in Rinteln/Weser geboren und hat ihr Studium der Sozialwissenschaften und Betriebswirtschaftslehre an der Universität Hannover abgeschlossen. Seit 2003 hat sie verschiedene Personalfunktionen bei der TUI inne. 2016 wurde sie Arbeitsdirektorin und Geschäftsführerin der TUI Deutschland GmbH sowie HR Director für die Central Region. Im Jahr 2019 hat sie zusätzlich zu dieser Aufgabe international die Verantwortung für die Personalbereiche im Konzernsegment Markets and Airlines übernommen. Sybille Reiß ist seit Juli 2021 Mitglied des Vorstandes für das Ressort Personal sowie Arbeitsdirektorin der TUI Group. |