Sie ist Multiinvestorin, Podcasterin, Buchautorin und seit einigen Monaten Jurorin bei der TV-Show “Höhle der Löwen”. Außerdem hat sie Global Digital Women und die Diversity-Beratung ACI Consulting gegründet. Diversity-Müdigkeit nimmt Tijen Onaran aber nur bei anderen wahr. Sie sagt: “Unternehmen müssen endlich verstehen, dass sie ökonomisch und auch gesellschaftspolitisch besser aufgestellt sind, wenn sie auf Vielfalt setzen.
Ex-Siemens-Vorständin Janina Kugler hat jüngst geklagt, Diversity verkomme immer mehr zur Show und sei für viele vor allem ein gutes Geschäftsmodell. Auch Sie leben gut von Diversity-Beratung. Hat Kugler recht?
Tijen Onaran: Ich kann nachvollziehen, dass der Eindruck entsteht, weil es mittlerweile wahnsinnig viele Organisationen und Verbände, aber auch One-Woman- oder One-Man-Shows gibt, die sich des Themas annehmen. Für mich persönlich kann ich sagen: Als ich vor vielen Jahren damit angefangen habe, musste ich darum kämpfen, für einen Vortrag überhaupt mal 100 Euro zu bekommen. Daher bin ich ehrlicherweise sehr froh, dass sich auch in diesem Punkt etwas verändert hat.
Kugler sagte sinngemäß auch, Female Empowerment meine nicht, über Lippenstift und Kleidung zu reden. Sie jedoch haben nicht nur einen eigenen Lippenstift gelauncht, sondern thematisieren gerne auch öffentlich Ihren Kleidungsstil. Fühlen Sie sich von der Kritik angesprochen?
Äußerlichkeiten sind starke Symbole. Wer sich mal ein bisschen mit der Geschichte des Lippenstifts beschäftigt hat, weiß: Roter Lippenstift hat auch ein politisches Momentum. Amerikanische und britische Frauenrechtlerinnen, die Suffragetten, trugen roten Lippenstift schon im frühen 20. Jahrhundert als Ausdruck ihrer Weiblichkeit und Unabhängigkeit. Umso erstaunlicher ist es, welche Reaktionen Frauen heute noch mit solchen Dingen auslösen. Auf LinkedIn hat mir mal jemand geschrieben, dass es sich im Business-Kontext nicht gehöre, sein Gesicht bunt anzumalen. Daraufhin habe ich gesagt: Okay, jetzt bringe ich einen eigenen roten Lippenstift auf den Markt. Davon abgesehen, muss man sehr unterscheiden, was auf den großen Bühnen passiert und was eher hinter den Kulissen geschieht. Ich bin vor sechs Jahren ja nicht angetreten und habe gesagt, ich mache jetzt eine Kleiderkollektion und definiere mich über bunte Anzüge und roten Lippenstift. Meine Geschichte besteht vor allem aus sehr viel Inhalt, akribischer Vorbereitung und Arbeit.
In Ihrem neuen Buch mit dem sicher sehr verkaufsfördernden Titel “Be your own f*cking Hero” schreiben Sie viel über Mut für Frauen. Mut zur Macht oder auch Mut, groß zu denken. Also sind die Frauen bislang doch nur zu feige für echte Gleichberechtigung?
Nein, Frauen sind nicht zu feige. Aber ihr Mut wird ihnen häufig abgesprochen. Wenn Frauen mutig sind und sagen: Ich will jetzt diesen Platz hier am Tisch, dann wird gleich gefragt: Kann die das überhaupt? Schafft sie das? Das erlebe ich sowohl in der Arbeit mit Vorständinnen als auch bei mir persönlich. Und deswegen habe ich gesagt: Es braucht jetzt ein Buch, das bei Frauen an diesen inneren Mut appelliert. Die Rahmenbedingungen dieser Welt können noch so gut sein, wenn du am Ende nicht das eigene Empowerment hast und nur darauf hoffst, dass jemand kommt und sagt: “Ja, du bist doch super. Willst du jetzt nicht mal eine Gehaltserhöhung?”, dann wissen wir alle, da wird nichts kommen. Irgendwann musst du schon selbst sagen, was du willst – ob laut oder leise, ob mit oder ohne Lippenstift.
“Für die Vorstände und CIOs dieser Welt ist nur eins entscheidend: An KPIs und knallharten Zahlen müssen sie sehen, was ihnen Diversität bringt.”
– Tijen Onaran
Sie investieren in Start-ups, sind Jurorin bei der Höhle der Löwen. Wie sehr geht es Ihnen eigentlich noch um die Sache und wie sehr um die Marke Tijen Onaran?
Meine Brand ist der Inhalt, weil ich über meine Brand die inhaltlichen Themen kommuniziere. Es war bei mir schon immer so, dass die Sache auch mit mir als Brand verbunden war. Früher war das nur nicht so visibel.
Dann zurück zur Sache: Momentan macht sich bei vielen Menschen und Unternehmen eine gewisse Diversity-Müdigkeit breit. Haben es manche mit dem Thema zuletzt einfach übertrieben?
Nein. Diese Erschöpfungsspirale nehme ich auch wahr. Aber das liegt vor allem an der gesamten politischen Enttäuschungslage, die gerade in unserer Bevölkerung vorherrscht. Hinzu kommt, dass wir das Thema Vielfalt im deutschsprachigen Raum häufig sehr aktivistisch diskutieren. Ich sehe mich selbst beispielsweise null als Aktivistin, sondern in erster Linie als Unternehmerin. Und damit meine ich nicht, dass ich damit Geld verdiene.
Sondern?
Dass ich die Sichtweise der Unternehmen einnehme. Unternehmen müssen endlich verstehen, dass sie ökonomisch und auch gesellschaftspolitisch besser aufgestellt sind, wenn sie auf Vielfalt setzen. Für die Vorstände und CIOs dieser Welt ist nur eins entscheidend: An KPIs und knallharten Zahlen müssen sie sehen, was ihnen Diversität bringt. Das Argument, Frauen müssten doch bitte auch einen Platz am Tisch bekommen, ist ein Gerechtigkeitsargument. Und aus Erfahrung weiß ich: Das Gerechtigkeitsargument zieht nicht. Was zieht, ist, dass die Vorstände erkennen, dass sie als Arbeitgebende nur dann attraktiver werden, wenn sie auf Vielfalt in allen Dimensionen setzen.
So weit, so einleuchtend. Was also braucht es konkret, um gegen Diversity-Müdigkeit anzugehen?
Ehrlicherweise vor allem sehr viel Arbeit in den Unternehmen, und dabei in erster Linie Kommunikation und Transparenz. Es hilft nicht, zu sagen: Wir machen jetzt eine Quote. In den meisten Unternehmen bekommen die Personalvorstände irgendwann Druck von einer Gruppe aus dem Diversity-Bereich, und dann wird aktionistisch versucht, irgendetwas umzusetzen. Aber ohne vorher darüber nachzudenken, wie man den Großteil der Belegschaft dabei mitnimmt, wird das nichts werden.
In der Chemieindustrie gibt es bis heute in der Produktion keine Frauentoiletten, weil man darüber noch nicht nachgedacht hat. Wie will man so mehr Frauen für bestimmte Industriezweige gewinnen?
– Tijen Onaran
Wir dachten ehrlich gesagt, die Unternehmen seien in diesem Punkt schon weiter.
Die Belegschaft nicht. Der Großteil der Belegschaft muss erst einmal verstehen, was Vielfalt überhaupt bedeutet. Unternehmen müssen ihren Mitarbeitenden erklären, warum es wichtig ist, gewisse Sprachen zu nutzen, warum KPIs wichtig sind, warum plötzlich anders rekrutiert wird. Schlechte Kommunikation führt zu schlechten Ergebnissen. Das ist der größte Clou in puncto Diversity. Und so überraschend das klingt: Daran scheitern noch immer die meisten Diversity-Projekte.
Überzeugungsarbeit bei den Vorständinnen und Vorständen braucht es nicht mehr?
Doch. Als ich vor Kurzem bei einem Unternehmen war, staunte tatsächlich jemand darüber, dass soziale Herkunft auch eine Diversity-Dimension ist. Wir erklären in unseren Workshops auf C-Level also meist erst einmal ganz klassische Begrifflichkeiten. Welche Diversity-Dimensionen gibt es überhaupt? Was ist der Unterschied zwischen Diversity, Equity und Inclusion? Oft geht es aber auch um sehr konkrete Dinge. Wir haben beispielsweise einen Kunden aus der Chemieindustrie. Dort gibt es bis heute in der Produktion keine Frauentoiletten, weil man darüber einfach noch nicht nachgedacht hat. Wie will man so mehr Frauen für bestimmte Industriezweige gewinnen? Haltung ist schön und gut. Aber wenn sie keiner lebt, hilft sie gar nichts.
Bei unserem letzten Interview vor ziemlich genau zwei Jahren haben Sie auf die Frage, wen Sie persönlich gerne einmal treffen würden, geantwortet: Melinda Gates. Sind Sie in diesem Punkt weitergekommen?
Ein Stück. 2022 war ich als Teil der deutschen Delegation zur Goalkeepers Konferenz der Gates Foundation nach New York eingeladen. Da durfte ich ihr kurz die Hand geben und sagen: “Hi I’m Tijen from Germany”. Für ein gemeinsames Foto hat es leider nicht gereicht, aber ich habe immerhin schon mal die gleiche Luft wie Melinda Gates eingeatmet.
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