Der gesamte Arbeitsmarkt befindet sich gerade in einem Umwälzungsprozess, dessen Ausmaße sich nur erahnen lassen. Digitalisierung, Globalisierung oder der demografische Wandel gelten als die wichtigsten Treiber. Immer stärker wirken zudem die Neuerungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz wie ein Turbo auf diese Entwicklung. Denn KI-Systeme können Routineaufgaben übernehmen, Entscheidungen treffen, sogar neue Produkte entwickeln. Vor kurzem hat der Internationale Währungsfonds in einer Studie beleuchtet, wie sich die Arbeitswelt durch KI verändern dürfte. Eines der Kernergebnisse: Etwa die Hälfte aller Jobs könnten perspektivisch von KI zumindest in Teilen übernommen werden.
Inzwischen ist KI auch dabei, seine Spuren im HR-Management zu hinterlassen. Schon seit einigen Jahren unterstützen digitale Tools Unternehmen und Personalverantwortliche bei der Rekrutierung und der Auswahl von Mitarbeitern, bei Planung und Einsatz, der Personalentwicklung oder der Leistungsbeurteilung. Jetzt aber führt Künstliche Intelligenz diese Hilfsmittel in eine neue Liga. Deutlich wird dies zum Beispiel an dem Feedback- und Performance-Tool von Loopline Systems. Der Dienstleister aus Berlin unterstützt Unternehmen seit zehn Jahren bei der Digitalisierung ihrer Feedback- und Performance-Management-Prozesse. Jetzt erteilt Künstliche Intelligenz im Nachgang zu den softwaregestützten Mitarbeiter-Befragungen gleich Handlungsempfehlungen.
„Normalerweise müsste man erst einmal über eine Heatmap und Einzelresultate eine Prio-Liste erstellen und in Workshops Maßnahmen ableiten“, erklärt Christian Kaller, Gründer und Geschäftsführer von Loopline. „Die KI nimmt jetzt aber bereits inhaltlich eine Priorisierung der Themen vor und schlägt dann dafür Maßnahmen zur Verbesserung vor.“ Damit helfe man Personalabteilungen und Führungskräften, die Lücke zwischen der Datenerhebung und der Ableitung von konkreten Maßnahmen zu schließen.
KI benachteiligte anfangs Frauen
Inzwischen ist eine Reihe intelligenter Software-Tools auf dem Markt, die Personalmanager bei ihrer Arbeit unterstützen. Dazu zählen beispielsweise Textkernel, eine App, die unstrukturierte Lebensläufe oder Profile in sozialen Netzwerken in übersichtliche Daten umwandelt, WatsonX Orchestrate von IBM, das bei der Rekrutierung von Bewerbern hilft, Vervoe, das Performance und Skills von Bewerbern misst, oder Paradox.ai, das Einladung, Nachverfolgung und Kommunikation steuert. Im Herbst führte der Personaldienstleister Randstat mit dem ifo Institut eine Umfrage durch. Diese zeigt, dass sich Personalverantwortliche von genau solchen KI-Tools viel erhoffen. In ihrem Fazit stellen die Studienautoren fest, dass KI im HR-Management künftig eine immer größere Rolle spielen wird. Besonders im Hinblick auf den Arbeitskräftemangel sei es für Unternehmen wichtig, wettbewerbsfähig zu bleiben und im Konkurrenzkampf um Arbeitskräfte bestmöglich ausgestattet zu sein. Und zu dieser zukunftsfesten Ausstattung gehört KI.
Gesetzt ist Künstliche Intelligenz schon seit längerem im Recruiting. Schon Ende 2019 konstatierte der Personalberater Hays in einer Bestandsaufnahme, dass sich deutsche Unternehmen dem Thema mehr und mehr annäherten, beispielsweise mit Stimmanalysen und neuartigen Interviewformaten. Inzwischen sind neben smarten Suchmaschinen für die Kandidatensuche vor allem Verfahren für die Bewältigung großer Bewerberzahlen sowie zur Eignungsdiagnostik im Einsatz. Das Softwareunternehmen Personio hat auf seiner Homepage aufgelistet, wie breit dieser Einsatzbereich ist. Er reicht von der Gestaltung von Stellenanzeigen, der Beantwortung von Bewerberfragen durch einen Chatbot über die Vorauswahl der Kandidaten, der Konzeption und Durchführung von Assessment Centern bis hin zur Analyse von Wortwahl und Sprache sowie der Prognose der individuellen Jobperformance. Durch KI wird also sowohl die Analyse der Daten als auch die Entscheidungsfindung automatisiert.
„Durch das Einbeziehen interner und externer Daten werden präzise standort- sowie abteilungsbasierte Prognosen ermöglicht, die als Basis für die intelligente Dienstplanung dienen.“
– Marie Ladner, Senior Marketing Manager DACH & Nordicsr
Tatsächlich sind die meisten Personalleiter aber auch skeptisch beim Einsatz von KI. In der ifo-Studie äußerten 48 Prozent rechtliche Bedenken. Denn mit Künstlicher Intelligenz werden immer auch juristisch sensible Bereiche tangiert: Urheberrecht, Datenschutz, Verantwortlichkeiten und nicht zuletzt Fragen der Diskriminierung. Vor fünf Jahren geriet der Onlinehändler Amazon in die Schlagzeilen, weil er sich von einer KI seine Bewerbungen vorsortieren ließ, wobei Frauen eindeutig benachteiligt wurden. Die Software hatte sich bei der Auswahl an offenbar typischen Bewerbern orientiert, und das waren in der Regel technikaffine Männer.
Die Sensibilität für Fragen der Diskriminierung ist seitdem deutlich gestiegen, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund strenger Compliance-Regelungen. Der Ethikbeirat HR-Tech, ein Gremium namhafter Wissenschaftler und Expertinnen, hat Richtlinien für einen verantwortungsbewussten Umgang mit Künstlicher Intelligenz verfasst, bei dem es auch um Diskriminierung geht. Es gibt zudem zahlreiche wissenschaftliche Abhandlungen, wozu zum Beispiel das von der Bundesregierung geförderte Projekt ai:conomics zählt. Und es gibt Tools wie von der Online-Plattform StepStone, die Genderbias bei Stellenanzeigen aufdecken und neutrale Formulierungen vorschlagen.
Recruiting-Tools sind weit verbreitet
Neben dem Recruiting ist der Einsatz von intelligenter Software im HR-Management im Bereich der Personalplanung weit verbreitet. Hier haben sich zahlreiche Anbieter etabliert, die ihre Lösungen inzwischen mit Machine Learning deutlich aufgebessert haben. Das schwedische Unternehmen Quinyx wirbt beispielsweise damit, mit seiner KI-Lösung eine faire und gesetzeskonforme Schichtplanung umzusetzen. „Durch das Einbeziehen interner und externer Daten werden präzise standort- sowie abteilungsbasierte Prognosen ermöglicht, die als Basis für die intelligente Dienstplanung dienen“, erklärt Marie Ladner, Senior Marketing Manager DACH & Nordics. Es erfolge dann gewissermaßen eine Personaleinsatzplanung auf Knopfdruck, die Schichten, Pausen und vorhergesagte Personalbedarf in Einklang bringe. Zu den Kunden zählen Unternehmen wie der Lebensmittel-Lieferdienst Flink, die Einzelhandelskette Rituals oder die Klier Hair Group mit ihren rund 800 Filialen.
Quinyx hat sich vom Forschungsunternehmen Forrester einmal ausrechnen lassen, wie groß der wirtschaftliche Nutzen durch den Einsatz seiner Workforce Management Software ist. Grundlage bildeten die Daten von vier Unternehmen, die für die Studie zu einem großen, fiktiven Einzelhändler mit 3.900 Mitarbeitenden und 260 Geschäften zusammengesetzt wurden. In dem Planspiel kam heraus, dass jeder Filialleiter durch den Einsatz des KI-Tools zwei Stunden in der Woche bei seiner Personaleinsatzplanung spart, was hochgerechnet einer Summe von 1,5 Millionen Dollar entspricht. „Die höhere Genauigkeit der Personalbedarfsplanung hilft zudem nicht nur dabei, die optimale Anzahl von Mitarbeitenden für die erwartete Kundenfrequenz zu bestimmen“, so Ladner. „Durch die Auswertung der Daten kann auch ermittelt werden, ob die vereinbarten Stunden der Voll- und Teilzeitkräfte ausgeschöpft sind.“
Manche KI-Tools gehen noch einen Schritt weiter. Die Firma Can Do aus München erstellt mit ihrer Software eine Ressourcenplanung, die sich an den Skills der Mitarbeiter orientiert. Es geht also nicht nur um die Verfügbarkeit, sondern auch die benötigten Fähigkeiten. Skill Management sei deshalb so komplex, weil einerseits jedes größere Projekt seine Unwägbarkeiten hat, andererseits jeder Mensch über verschiedene Skills verfügt, schreibt Thomas Schlereth, CEO von Can Do in einem Whitepaper. Die KI könne aus allen möglichen Situationen das wahrscheinlichste Szenario errechnen und antizipieren, wann und wo welche Leute gebraucht werden. Dadurch werde die Planung realistischer, Überlastungen würden vermieden. Nach eigenen Angaben haben Unternehmen wie die Salzgitter AG, der Gothaer Konzern oder die Mitteldeutsche Netzgesellschaft Strom das Tool im Einsatz.
KI dringt in Personalentwicklung vor
Eine Umfrage der E-Learning-Plattform Pinktum zeigte kürzlich, dass der Bereich der Personalentwicklung der nächste sein könnte, der von KI erobert wird. Von über 500 befragten Unternehmen waren drei Viertel der Meinung, dass dies für KI einer der wichtigsten Bereiche im HR-Management sei. Eine Studie des Personalentwicklungsunternehmens Lepaya, das Großkonzerne wie Microsoft, Roche und ING zu seinen Kunden zählt, unterstreicht diesen Trend. Danach hat bereits jedes zweite der befragten Unternehmen KI in seine Trainingsprogramme integriert. So nutzen beispielsweise Banken Avatare und VR-Technologie, um ihre Mitarbeitenden in einer Art Rollenspiel zu schulen.
Einen interessanten Ansatz in dieser Richtung verfolgt auch Spotify. Der Streamingdienst hat vor rund zwei Jahren den internen Marktplatz Echo gelauncht. Dort können alle Angestellten (Spotifier) miteinander in Kontakt treten, Mentoren nach Mentees suchen, Projektleiter nach Talents mit den passenden Skills. Die KI sorgt im Hintergrund für das passende Matching. Anstatt anstehende Projekte mit Externen zu besetzen, wird das Projekt in kleinere Job-Bestandteile zerlegt, die KI sucht im Hintergrund nach geeigneten internen Talents. Damit, so heißt es in einer Bilanz, könnten die Spotifier ihren Arbeitsbereich ausdehnen und ihr Karrierechancen erweitern. Die KI sorgt also für ein neues, flexibleres Jobverständnis.