Am Arbeitsplatz stehen wir oft unter Strom. Das gilt nicht nur für Führungskräfte, sondern alle Mitarbeitenden. Gefühlt täglich sehen wir uns mit Veränderungen konfrontiert. Wie hilfreich wäre es, wenn für Probleme, die wir bewältigen müssen, schnelle zielsichere Lösungen gefunden werden könnten. Damit der Druck nachlässt und die Arbeit sich nach Erfolg anfühlt. Damit akuter Stress nicht in eine dauerhafte mentale Überlastung umschlägt. Doch je komplexer die Herausforderungen in Unternehmen werden, etwa durch wirtschaftliche Unsicherheit oder den wachsenden Fachkräftemangel, desto schwieriger wird es, Mitarbeitende veränderungsstabil zu halten. „Permanente Spannung zu ertragen, entspricht nicht dem menschlichen Verhalten. Doch es wird immer mehr zur Schlüsselkompetenz, das zu trainieren“, sagt Holger Heinze, Partner bei O’Donovan Consulting, der als Berater Unternehmen in der Transformation begleitet.
Mit die größte Gefahr für Organisationen, wenn es um Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit geht, sieht er darin, dass Mitarbeitende und Teams sich selbst im Weg stehen. Sie sind in Rollen gefangen, die lähmen, ausbremsen und verletzen. CEOs genauso wie Junior-Manager, alle sitzen in der Regel im selben Boot. Als Beispiel für so einen Rollenkonflikt nennt Heinze die Auswirkungen eines „heftigen Meetings“. Eine Führungskraft war mit dem Ergebnis des Teams oder eines einzelnen Mitarbeitenden nicht zufrieden. Die Chefin oder der Chef reagiert enttäuscht und kritisiert mit deutlichen Worten. Dann entsteht in der Regel eine Beziehungsdynamik, die als „Dramadreieck“ bezeichnet wird. Darin gibt es drei Positionen: Den Täter oder Schurken, der Recht haben will. Das Opfer, das sich in die Ecke drängen lässt. Und den Retter, der beispringt und hilft.
Verhaltensmuster erkennen und Änderungswillen stärken
Mit den jeweiligen Rollen sind starke Gefühle verbunden, die das Team frustrieren, ausbremsen und einer Lösung keinen Schritt näherbringen. „Rollen im Dramadreieck sind nicht auf Veränderungen ausgelegt, da gibt es eigentlich nur ‚auf der Stelle treten‘, und Menschen verharren in ihrer Opferrolle“, so Heinze. Die typische Antwort eines „Opfers“ könnte in der beschriebenen Konfliktsituation lauten: „Wie soll ich bessere Ergebnisse liefern, wenn drei meiner Stellen nicht besetzt sind, ich kann nichts dafür.“ Schuld ist dann der sogenannte Schurke, also der HR-Manager, dem es nicht gelingt, die vakanten Stellen zu besetzen. Laut Psychiater Stephen Karpman, der das Dramadreieck als Modell entwickelte und 1968 öffentlich machte, ändern sich Verhaltensmuster in Konfliktsituationen nicht von allein. Menschen müssen aktiv daran arbeiten, beispielsweise in Therapien oder, wenn es um den Arbeitskontext geht, in Schulungen beziehungsweise Coachings.
Das Dramadreieck hat bis heute seine Gültigkeit nicht verloren. Der Schlüssel in der Transformation ist für Heinze daher nicht nur eine Anpassung von Prozessen, sondern auch das Verhalten der Menschen in Konflikten und stressigen Situationen zu verändern. Beschäftigte müssen es seiner Ansicht nach in die Selbstwirksamkeit schaffen. Der Experte weiß aus Erfahrung: „Jeder von uns hat eine bevorzugte Rolle im Dramadreieck. Als erstes gilt es, diese zu erkennen, anzunehmen und ändern zu wollen.“ Die „schurkische“ Führungskraft müsste demnach an sich arbeiten, um weniger anzugreifen und mehr zu coachen. Dafür sollte negative durch konstruktive Kritik ersetzt werden. Tendiert ein Mensch zur Opferrolle, ist es wichtig, die Defensive zu verlassen und unabhängig zu werden – die Gestalterrolle einzunehmen. Retter sind ebenfalls keine Helden in diesem Drama: Sie müssen aufhören, ihre Hilfe aufzudrängen und andere lieber mit in die Verantwortung nehmen, sie im positiven Sinne herausfordern. Somit entsteht ein Gegenmodell zum Dramadreieck, das TED – The Empowerment Dynamic genannt wird und auf den Berater und Coach David Emerald zurückgeht.
Statt Schurke also Herausforderer. Kein Retter, sondern Coach. Und das Opfer entwickelt sich zum Gestalter. Der Weg dorthin ist allerdings ein langer und fordernder. Ausschlaggebend sei, dass der Veränderungsprozess alltagstauglich ist, so Heinze. Ergo sollten Botschaften für Handwerker sprachlich anders als für Manager und Entscheider transportiert werden. Doch immer mit demselben Ziel: „Menschen müssen weg vom Problemfokus!“ Ein einfaches Beispiel: Schon einem Kind könne gesagt werden, „Bleibe bitte auf dem Gehweg“ anstatt „Gehe nicht auf die Straße“. Menschen müssen bewusst umschalten, dies gemeinsam üben und in ihrem Mindset verankern. „Nur so kann es die Unternehmenskultur dauerhaft verändern und Menschen in die Selbstwirksamkeit bringen“, sagt Heinze. Denn eine sachliche Kritik wird in der Regel leichter angenommen. Anstelle von Angst können die Mitarbeitenden Zuversicht empfinden, wenn sie merken, dass ihnen die Findung einer Lösung weiterhin zugetraut wird. Hilfe eines Kollegen ist dann richtig, wenn sie unterstützend, nicht übergriffig ist.
Veränderungen in Etappen gliedern
Doch wie lernen Führungskräfte und Teams das richtige Maß der Veränderung? Heinze beginnt seine Arbeit mit Probeteams. Dabei setzt er auf Schulungstage, die Wissen vermitteln und Verständnis für die Veränderung hervorrufen. Anschließend zieht sich die Veränderung in Etappen durch das Unternehmen. In Summe müssen alle Beschäftigten Schritt für Schritt ihren Fokus verschieben und anders in Beziehung treten. „Das Unangenehmste ist in der Regel, wenn Menschen offen gesagt bekommen, dass sie auf der Stelle treten und sich das nicht ändern wird. Und zu verstehen, welche Rolle man eingenommen hat – Opfer oder Schurke –, fühlt sich auch nie gut an“, weiß Heinze. „Deshalb müssen wir positive Ziele formulieren.“ Ganz nach dem Motto: „Choose your battles.“ Da die Ziele meist schwer zu erreichen sind, müssen Menschen lernen, Spannung auszuhalten. „Das ist in meinen Augen das Killerkonzept. Wenn man lernt, die Spannung auszuhalten, kommt man irgendwann an den Punkt, an dem man lösungsorientiert und kreativ werden kann. Das Ergebnis ist agiles Arbeiten.“ Im Idealfall sind in einem größeren Team 40 bis 60 Prozent der Personen so fit in der Methode, dass sie merken, wenn Meetings in die falsche Richtung kippen. Wenn also jemand sagt, „Können wir nicht ändern, ist alternativlos“, entgegnet ein anderer, „Wollen wir jetzt in die Opferrolle gehen und dort bleiben? Oder suchen wir Lösungen?!“